Arztgattin, voll berufstätig, blond und blauäugig, restchristlich, eigentlich ’ne ganz Pfiffige.
Die einzige Konservative in meinem kindergenerierten Bekanntenkreis von früher, nahm ich bis dahin an, alle sonstigen Eltern sind dezidiert links (ästhetische Konservativismen wie Plattenspieler, gewienerte Herrenschuhe oder antiquarische Sammlungen gelten nicht).
Beim Milchkaffee sprachen wir Mütter also über Schulen. Sie erzählte, die Kinder beteten in der Schule, fände sie ja nett, aber mit Kirche hätte sie ja sonst nichts mehr zu tun, ich erzählte, ich wäre katholisch, sie ja nicht, das einzig Gute an der katholischen Kirche wäre doch – die Flüchtlingshilfe!
Da mußte ich äußern, daß das ja wohl nicht ihr Ernst sein könne, denn bei mir wär’s genau andersrum. Längere Darlegung meines Problems mit der Flüchtlingsindustrie, dann Thema Nächstenliebe. Da erdreistete sie sich zu behaupten, am Jüngsten Tag würde der Herr zu mir sprechen und sagen: “Caroline, da hast du etwas mißverstanden!” Sie meinte es trotz hyperbolischer Worte ernst, denn Nächstenliebe hieße ja wohl selbstverständlich, daß alle Welt mein Nächster wäre.
In Kurzform habe ich ihr Merkel und die Menschenwürde auseinandergesetzt, und sie sagte, das wäre rassistisch, nicht alle Flüchtlinge aufzunehmen. Praktische Unmöglichkeit war ihr kein Argument, es ginge doch schließlich um christliche Moral. Hab ich noch eins draufgepackt und ihr Carl Schmitts Argument zur Feindesliebe erklärt, da meinte sie, ich dächte ja wohl so richtig wie Nazis, und es gäbe doch wohl kaum Menschen, mit denen ich mich noch abgeben könnte… Dieweil räuberten die Kinder um uns herum und beschäftigten sich auf Bubenart, an die Intensivhaltung in Perfektwohnungen kann sich ihr Triebleben evolutionär wohl nicht so schnell anpassen.
Menschen, mit denen ich mich abgeben könne… In ihrer Welt kam offensichtlich nicht vor, daß es als passendes ideologisches Umfeld für mich außer Skinheadfressen durchaus noch ein paar versprengte Leute geben könnte, man nennt sie: Rechtsintellektuelle. Die faszinierende Reaktion dieser Wohlmeinenden war: “Das glaub’ ich nicht. Rechts und intellektuell zusammen geht nicht.” Das glaubte sie also nicht. Größer kann der Widerstreit zweier Paradigmen nicht sein, daß einer dem anderen banales Leutekennen nicht “glaubt”. Doch die Frau ist psychologisch einschlägig bewandert, man spricht doch gern mal Klienten ihre Wahrnehmungen ab.
Dann meinte sie, meine verquere Weltsicht läge doch nur daran, daß ich da mal einen Mann kennengelernt habe, und der habe mir den Kopf verdreht (nein, nicht der Lichtmesz, sondern ein früherer Kollege). Ich hab ihr versucht zu erklären, was dieser Kerl für einer ist, aber in ihrem Kopf bildeten sich immer mehr Merkmale einer psychiatrischen Diagnose für ihn, und sie sagte dann: “Der ist ja verrückt, und hat dich manipuliert, da mach’ ich mir jetzt echt Sorgen um dich.”
Mir verschwammen zunehmend die Wörter einer glaubhaften Beschreibungssprache. Es ist nicht möglich, jemandem einen Menschen zu beschreiben, wenn der Gesprächspartner innerlich sein Raster durchrattern läßt und meine Beschreibung Facette für Facette als unwahr stempelt. Ich wollte ihr beschreiben, warum dieser Typ nicht verrückt ist, sondern ansatzweise das, was ich kürzlich als “Truther” beschrieben fand: ein weltfeindlicher, hochsensibler, einsamer Wahrheitssucher mit Verschwörungsgedanken.
Wir wechselten mit unserer Horde den Ort, zwischen Häuserschluchten in ihrer unmittelbaren Wohnungsnähe fand sich ein auf einem Fleckchen zugerichteter neuer Kinderkäfig. Auf diesem Spielplatz rollerten unsere Burschen, und wir Mütter schauten zu. Eine Negermama schaffte nicht, ihr Kleinkind davon abzuhalten, im Februar barfuß zu rennen, und ein ältlicher Herr (“mit Hitlerbart”, sagte meine Begleitung) ging, den Kopf drüber schüttelnd, an uns vorbei.
Ob ich denn einen Unterschied zwischen dieser Mutter und mir sähe. Naja sicher! Das fand sie… man darf raten. Und sagte dann: “Also ich finde das ja gut, daß es immer mehr hellbraune Kinder gibt, irgendwann sind die Blonden ausgestorben.” Ich: “Und das findest du gut?” Sie: “Was soll denn am Blondsein gut sein? Die weiße Rasse hat doch soviel Unheil auf diesem Planeten angerichtet, da ist es nur gut, daß sie ausstirbt.” Ich bezweifelte recht vehement, daß es erstrebenswert sein kann, die Welt zu brasilianisieren, allein wegen der Kultur Europas.
Daraufhin fragte sie mit aufrichtiger Verblüffung: “Was kümmert dich denn die Kultur Europas?” Diesen Satz hatte ich schon einmal gehört, war also seelisch vorbereitet, darob nicht vollkommen auseinanderzufallen. Wieder: Paradigmenunvereinbarkeit in einem Grade, daß man den Gegenüber wie einen kranken Esel behandeln muß oder wie ein zehnjähriges Kind.
Knappe Worte waren zumindest nötig, was Europa uns bedeuten müsse (ich bezog sie kurzerhand ins Wir ein, denn ein “Wir” zu haben bedeutet auch, es anderen einfach zuzumuten, die objektiv dazugehören, es aber subjektiv ablehnen). Außer an der Kultur wäre mir außerdem am Erhalt der hohen Intelligenz gelegen, derer es für Hochtechnologie und für so einen komplexen Staat samt Bildungssystem doch bedürfe, usw. usf. Die umhegten Kinder ließen rennend, soweit es der Ort zuließ, ihren Zappel aus den Beinen.
“Und das hältst du für wichtig zu erhalten? Ich sag dir eins, Caroline. In hundert Jahren werden alle Menschen der Welt gemischt sein, und das ist gut so. Überhaupt denk’ ich da buddhistisch, es gibt keine Feinde, nur Lehrer auf deinem Weg. Außerdem: Denk doch mal planetarisch, da wird eines Tages die Menschheit eh ausgestorben sein, und die Sonne dehnt sich aus und dann ist die Erde ganz vernichtet.”
Ich hatte bis zu dem Zeitpunkt nicht gewußt, daß die europäische Vereinnahmung des Buddhismus einmal solche Sumpfblüten treiben könnte, und daß so ein physikalistisches Weltbild zum konsequenten Masochismus paßt wie die Faust aufs Auge.
Sie dächte wirklich so, und das vermittle ihr ein Gefühl der Gelassenheit. Warum ich mich so aufrege? Mir fehle einfach die Gelassenheit, ich sei da so verbissen und egozentrisch. In ihrer Welt ist die Verteidigung des Eigenen ein egozentrisches Verlangen, das man mit mehr Gelassenheit und Dezentrierungsgedanken schon in den Griff bekommen könnte.
“Ja, hast du denn kein Fünkchen Bewußtsein für das Eigene, deine eigenen Gene, überhaupt einen Sinn für sowas wie: deinesgleichen?” “Nein, hab ich eigentlich nicht, findest du denn, diese Frau dort (zeigt auf die Negermama, deren Kind mit Sand schmeißt nach unseren) ist nicht deinesgleichen?” “Ja, in einem übergeordneten Sinne natürlich schon, also im Sinne von: alle Menschen haben einen Kopf, aber sonst eher weniger…” (langsam wurde ich sarkastisch) “Caroline, es kann einfach keine Menschen geben, die so denken wie du, und das ist echt krank.” “Das ist gesund, im Gegensatz zu deinem Ethnomasochismus!” Begriffsklärung nötig, klar.
Sie streichelt ihrem kleinen strohblonden Buben übers Haar und sagt: “Dann mußt du dich doch auch in so einer mulitkulturellen Stadt unwohl fühlen.” Ich: “Hm, ich treibe halt still meine Sozialstudien, und denk mir meinen Teil.” Sie: “Dann hast du ja irgendwann keine Menschen mehr, mit denen du dich verstehst, das ist doch ein ganz geschlossenes Weltbild, wo du nur Feinde bekommst.” Ich gab es auf. Hätte es irgendeinen Sinn gehabt, ihr von euch zu erzählen? Nein. Verzweiflung packte mich, aus der mich nur die heiße sandtrockene Spielplatzpfote meines Jüngsten in meiner Hand rettete, der den ganzen Weg zurück zu unseren Berliner Gastgebern auf mich einplauderte.
“If we don’t neutralize decay, we may run out of tomorrows…” (Death in June)
Ich schrieb einmal an anderer Stelle:
Selbstsein ist, wenn man das ist, was man ist. Selbstzweifel ist, wenn man sich nicht sicher ist, ob man etwas wirklich ist. Selbstverleugnung ist, wenn man etwas ist und sagt, daß man es nicht ist. Selbsthaß ist, wenn man kategorisch ablehnt, das zu sein, was man ist. Selbstmord ist, wenn man das, was man ist, auslöscht.
Ihr kommt mein Denken wie eine “abartige Psychosekte” vor, und mir kommt ihr Denken wie eine besonders widerwärtige Perversion vor: Masochismus unter Einbeziehung der eigenen Kinder. Es handelt sich um so weit fortgeschrittene Entfremdung der Weltbilder voneinander, daß sie mit den Mitteln der politischen Diskussion nicht mehr einzuholen ist. Das Schlimme ist, daß sie mit den Mitteln politischer Wahlen überholt wird.
In den Niederlanden fand (mit 20% allochthoner Bevölkerung) wie in anderen westlichen Ländern zunehmend eine ethnische Wahl statt, bei der ich nur spekulieren kann, wie weitgehend es auf seiten der Autochthonen auch eine ethnomasochistische Wahl war. In die diesbezüglichen Triebregungen seiner Zeitgenossen gewinnt man ja sonst selten so schonunglosen Einblick. Rolf Peter Sieferle schreibt im Migrationsproblem:
Ein altes Rechtsprinzip lautet ultra posse nemo obligatur, d.h. jede Verpflichtung hat ihre Grenze dort, wo die Selbstzerstörung begänne. Das Leben wie auch das Überleben des politischen Gemeinwesens hat einen Vorrang vor abstrakten Rechtsprinzipien, auch wenn es einzelnen freistehen mag, den Selbstmord zu wählen. Die politische Führung ist dazu jedoch nirgendwo ermächtigt. Man kann, wenn man will, die andere Wange hinhalten; die Regierung darf jedoch nicht die Wange des Volkes hinhalten, das sie gewählt hat.
Sarotti-Mohr
Die Träger der, die binnen vielen Jahrhunderten gewachsenen, mitteleuropäischen Kultur und Zivilisation zerstörenden Ideologie sind nicht etwa die herbeigelockten, mittels moderner Transportmittel ins Land gebrachten, kulturfremden Invasoren, sondern, von Selbsthaß befeuerte Irre der eigenen Titularnation.